Angsthunde

Angsthund-Marek-Tierheim-Argentona

Im Tierheim Argentona befindet sich eine große Anzahl von ängstlichen Hunden, aber auch Angsthunden. Es ist immer eine schwierige Entscheidung, ob man solche Hunde in die Vermittlung aufnimmt.

Aus Sicht des Tierschutzes ist es geradezu ein MUSS diesen Hunden zu helfen. Sie mussten sich für Wochen, Monate, manchmal auch über Jahre ihren gewalttätigen Besitzern unterwerfen. Sie selbst konnten nicht die Entscheidung treffen, wo und wie sie leben wollten. Oft stellt man sich die Frage, warum sie sich nicht gewehrt, warum sie ihr Schicksal so hingenommen haben. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Vielleicht lag es an der "Übermacht Mensch", vielleicht haben die Misshandlungen bereits im Welpenalter - also in der Prägephase - begonnen und vielleicht wurde ihnen somit das Selbstbewusstsein, die Sicherheit und das Treffen eigenständiger Entscheidung abgenommen bzw. abgesprochen. 
Es sind und bleiben aber nur Vermutungen.

Art und Umfang der Misshandlungen sind nicht zu verstehen und manchmal kaum zu ertragen. Die Übergriffe kennen keine Grenzen und trotz langer Erfahrung ist man erschüttert, welche seelischen und körperlichen Attacken die Hunde überstanden haben. Zuerst stehen für die Tierärztinnen und Pfleger die körperlichen Misshandlungen im Vordergrund. Angefangen bei der Versorgung der Wunden, über Röntgenaufnahmen bis hin zu notwendigen Operationen. Keine einfache Aufgabe für Tierärzte und Pfleger, denn die meisten Patienten haben das Vertrauen zu den Menschen verloren. Nur mit viel Ruhe, Geduld und Zeit gelingt eine Annäherung um mit der Behandlung beginnen zu können.

Je nach Schweregrad der Verletzungen bleibt der Patient auf der Krankenstation und kann sich langsam davon erholen. Sobald die Wunden verheilt sind, sucht man für diesen Hund einen hochsozialisierten und souveränen Partner, der mit ihm für die ersten Wochen den Zwinger teilt. Zum einen möchte man, dass der Angsthund die Verhaltensweisen kopiert und an Sicherheit gewinnt, zum anderen wird er so auf das Tierheimleben mit vielen Hunden vorbereitet.

Je nach Heilung der Wunden, allgemeinen gesundheitlichen Zustand und der seelischen Verfassung kommt er dann zu den anderen Vierbeinern. Es folgen später noch Impfungen und Kastration, danach heisst es erst einmal warten. Warten, wie sich der Hund entwickelt, ob er die Annäherung von Menschen zulässt oder sie selbst sucht. Gewinnt er an Selbstvertrauen und somit Sicherheit, oder zieht er sich beim Anblick eines Menschen zurück? Erst wenn er sich in das Rudel integriert hat und sich langsam etwas sicherer fühlt, wird eine Beschreibung erstellt und somit kann die Suche nach einer Familie beginnen. Ein lösbare Aufgabe, die dennoch nicht einfach ist.

Die Übernahme eines Angsthundes ist eine enorme Herausforderung, die viel Zeit und Geduld benötigt. Wer einen solchen Hund übernimmt, muss sich im Vorfeld darüber im Klaren sein, dass viele Wochen, vielleicht auch Monate ins Land ziehen werden, bis der Hund endlich Vertrauen fasst.

Rückschläge sind an der Tagesordnung und daher keine Seltenheit. Was der Hund heute perfekt umsetzt, kann morgen schon wieder vergessen sein. Angst ist der unsichtbare und ständige Begleiter, die ihn einfach nicht loslassen will.

Viele Adoptanten werden bis an ihre Grenzen geführt, manche sogar bis weit über diese. Das Mitleid, die Verzweiflung und die Machtlosigkeit
dem Hund kein positives Lebensgefühl vermitteln zu können, das Vertrauen nicht zu erlangen, gehört wohl zu den schwierigsten Hürden dieser Arbeit.

Zumal die Arbeit im Gegensatz zu unserer Lebensweise steht. Angst versuchen wir bei unseren Mitmenschen durch Trost, Zuspruch und Motivation wieder in den Griff zu bekommen. Hier braucht es bei einem Angsthund viel Fingerspitzengefühl. Angst blockiert das Denken und der Hund ist gar nicht in der Lage neue Situationen einzuordnen. Der gesamte Organismus läuft im Überlebensmodus. Somit reagiert der Hund nicht wie von uns erhofft und erwünscht. Er kann es gar nicht!

Nun hört man immer wieder, dass Trost und Zuspruch die Angst verstärken und man solle den Hund ignorieren. Was für ein fataler Ratschlag. Angst läßt sich KEINESFALLS durch etwas Positives wie Zuwendung verstärken. Das ist biologisch gar nicht möglich. Bitte bemitleiden Sie ihn nicht, das ist nicht zielführend. Aber ein Social Support gibt es im gesamten Tierreich. Ignorieren Sie Ihren Hund in einer angstauslösenden Situation, dann lernt er nur, dass von Ihnen keine Hilfe zu erwarten ist. Das ist nicht gut für ein Vertrauensverhältnis. Richtiger ist einfach nur da zu sein und die Ruhe zu bewahren. Viel wichtiger noch als bei anderen Hunden ist es, dass Sie Ihren Hund lesen können und erkennen, was ihn bedrängt oder überfordert. Hunde haben wie wir Menschen eine Individualdistanz und diese ist bei Angsthunden oft noch viel größer. Wie gerne würde man seinen Vierbeiner in den Arm nehmen, aber das überfordert einen Angsthund Anfangs sehr. Die meisten Angsthunde sind auch in einer sogenannten "Erlernten Hilflosigkeit" gefangen. All dies zu erkennen und adäquat zu handeln erfordert von dem Besitzer eine enorme emotionale Kraftanstrengung.

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Die ersten Spaziergänge sollten im Garten stattfinden und auch immer doppelt gesichert am Halsband und Geschirr. Vieles ist neu und vieles bereitet dem Hund Unbehagen. Jeder Meter ist ein kleiner Erfolg. Ruhe und viel Geduld ist die Basis für die ersten gemeinsamen Runden.

Eine Rückzugszone für den Hund in Form eines Korbes oder Hundedecke ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt. Der Hund sollte seine Ruhe finden können, abseits vom oft hektischen Alltagsleben, also nicht in Laufzonen oder in der Nähe von Türen. Sondern so, dass er die Familie beobachten und sich langsam an die Menschen und Geräusche gewöhnen kann. Der Hund wird in den ersten Tagen und Wochen enormen Reizen und Anforderungen ausgesetzt. Er braucht auch seine Zeit um das Erlebte zu verarbeiten. Bitte lassen Sie ihn auf seinem Ruheplatz auch in Ruhe und erklären Sie auch Kindern, dass der Hund in seiner Rückzugszone nicht gestört wird.

Überlassen Sie es dem Hund den Zeitpunkt selbst zu finden, wann er sein Leben in die Hand nehmen möchte und sich in kleinen Schritten integriert. Wichtig ist ein gleichbleibender Tagesrhythmus, Hunde lieben ein geregeltes Leben, denn es gibt ihnen Sicherheit. Überhäufen Sie den Hund nicht mit "zu viel Liebe" und bedrängen Sie ihn nicht. Lassen Sie ihn zu sich kommen und seine ersten Entscheidungen selbst treffen. Bis dato durfte er über sein Leben nie bestimmen. Neugier ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, sie besiegt in der Regel die Angst. Der erste vorsichtige Rundgang im neuen Heim ist ein gutes Zeichen, er versucht seine Ängste abzuschütteln und Neugier ist eine gute Antriebsfeder.

Jeder Hund, besonders die Angsthunde "erzählen" im Laufe der Zeit ihre Geschichte, zwar nicht in Worten, aber wir können vieles durch das Verhalten, durch Gesten und Blicken ableiten. Sie zeigen wovor sie Angst haben und die Palette ist breit gefächert: Stöcke, Staubsauger, Männer, Gummistiefel, dunkle, enge Räume, Stimmlagen, Hüte, Kappen usw. Es kann auch einfach das Vogelgezwitscher im erwachenden Frühling sein. Bitte versuchen Sie nie einen Angsthund zu etwas für ihn bedrohlichen zu locken, auch nicht mit Futter. Hat er Angst vor einem Objekt, machen Sie kein großes Ding draus und gehen in einem Bogen daran vorbei. Sie können z.B. ohne den Hund auf das Objekt zugehen. Erkunden Sie es wortlos und gehen dann weiter. Kommt er neugierig gucken, gut, wenn nicht, auch gut. Wenn Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit darauf lenken oder gar versuchen ihn dort hin zu drängen, dann verstärken Sie seine Angst.Geben Sie ihm einfach Zeit gemeinsam mit Ihnen und in seinem Tempo die Welt zu entdecken. Bleiben Sie gelassen, man kann die Welt nicht für den Hund ändern,
das ist leider in unserem Alltag unmöglich, aber man kann den Vierbeiner mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen wieder in das normale Leben zurückführen.

Es gibt keinen umfassenden Leitfaden oder ein einheitliches Konzept, um den Angsthunden zu helfen. Ein enormen Feingefühl und Ausdauer sind hier gefordert.

Jeder Hund hat seine Geschichte, seine Erlebnisse, seine Misshandlungen durchlebt und jeder reagiert auf seine Art darauf. Die Arbeit mit solchen Hunden ist jeden Tag eine neue Herausforderung, eine Gratwanderung. Wer dies unter dem Aspekt sieht "Ich rette einen Hund" und eine Hunderomatik erfüllt mit grenzenloser Dankbarkeit erwartet, wird eine bodenlose Enttäuschung erleben.

Der Weg bis zum Erfolg geht durch viele tiefe Täler verbunden mit vielen Rückschlägen. Es kann viele Wochen und Monate dauern, bis der Hund endlich Vertrauen gefasst hat. Aber wer mit einem solchen Hund durch diese Täler geht, wird den Tag erleben, an dem er wedelnd vor seinem Menschen steht, vorsichtig die Annäherung sucht, behutsam die Hände ableckt und auf seine ihm eigene Art Danke sagt.

Wenn Sie Hilfe bei einem Hundetrainer suchen, stellen Sie sicher dass er sich mit Angsthunden auskennt. Wir helfen auch gerne bei der Suche nach einem geeigneten Trainer.

Eine Adoption bzw. eine Übernahme muss daher gut durchdacht und mit allen Familienmitgliedern besprochen sein. Es ist für jeden Hund eine Katastrophe, wenn er sein Zuhause verliert, bei Angsthunden kann es zum endgültigen Vertrauensverlust führen............